Ruhrnachrichten
17. Mai 1993
Von Konrad Schmidt

Der Afrikaner, die Armen, die Satten


Bochum Um Emigrantenschicksale menschlich (und ideologisch untermauert) vorzuführen kann ein Theater Brechts Flüchtlingsgespräche spielen. Sie machen, mit wenigen Mitteln aufführbar, immer noch betroffen. Doch das ist heute nicht mehr "unser" Problem, das Land steht auf der anderen Seite. Man kommt zu uns. Und darum, was in dieser Gesellschaft vorgeht, haben sich Theaterautoren nur halbherzig gekümmert. Vielleicht weil es schwer fällt, die Dinge beim Namen zu nennen und dennoch selbst eine edle, ethische Position zu bewahren.

Bettina Fless inszenierte ihr in München uraufgeführtes Stück "Asyl - In der ersten Welt" für Bochum selbst (Premiere am Samstagabend). Es ist ein vielschichtiges, aber deshalb wohl zwangsläufig heterogenes Werk. Es klärt die Probleme nicht, führt jedoch einiges vor - oder besser auf, da es vorrangig Theater ist. Das mag der Autorin im Blut liegen, jedenfalls hat sich das Publikum je nach Temperament mehr oder minder gut unterhalten, betroffen war am Ende kaum jemand.

Das Stück hat eine Story. Die ist dürr und paßt in drei Sätze. Einem nigerianischen Studenten, politisch engagiert, droht in der Heimat Haft. Mit falschem Paß flieht er rechtzeitig nach Deutschland, freut sich kurz der Freiheit, Asyl wird ihm nicht gewährt, Abschiebung droht. Und dann kommen auch noch zwei Skins, zünden das unheimelige "Heim" an, der Afrikaner kommt um. Jubriel Sulaimon ist in dieser Rolle glänzend: wandlungsfähig, beweglich, spielerisch. Seine Landsleute (Angelo Akwete Amorin und Deo Komlan Kluvi) stehen diesem Schauspieler kaum nach. Ja, das gesamte Ensemble agiert wundervoll, scheint jeden Gedanken der Regisseurin willig umgesetzt zu haben.

Wichtig ist Bettina Fless offenbar nicht die dürre Geschichte. Wichtig sind ihr die eigenen Assoziationen, die sich daraus entwickeln lassen, die eigenen Gefühle, wie Entrüstung über Hartherzigkeit, über Klassenunterschiede, Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit. Und so entstand ein moralisches Bilder-Gewebe.

Es beginnt am Bahnhof, wo Menschen in Schließfächern hausen. Obdachlose. Gut, die Idee, wie die Mülltonnen in denen Menschen bei Beckett stecken. Es sind Randfiguren der Gesellschaft, Ausgestoßene, Verkorkste, die, das ist wichtig, eine Art gesellschaftliches Gleichgewicht unter sich hergestellt haben. Dann kommt störend ein Banker, nebst Gattin und Chauffeur, und schon steht im Geist Koltes hinter der Bühne und winkt mit dem Manuskript von "Quai West", wobei seine Figuren ein bißchen lebendiger sind. Nikol Voigtländer und Eva-Maria Hofmann zeichnen die beiden "Besseren" klar.

Die Stärke im Text sind die assoziativen, lyrischen, bildhaften Augenblicke. Sie unterschieden sich erheblich von den Passagen, die eingestreut wurden, um die Handlung voranzutreiben. Dazu greift die Autorin leider lustlos zu erklärenden, berichtenden Monologen, und die bleiben Papier. Auf diese Weise gewinnt keine Figur wirklich Leben und Charakter, so lebhaft die Aktionen auf der Bühne auch sind.

Klaus, der gescheiterte Soldat, eine abstruse Gestalt, verdankt Manfred Böll seine Munterkeit. Doch auch dieser Schauspieler scheint sich bisweilen des klischeehaften Lebenslaufes und seiner erdachten Varianten zu schämen. Daß Martin ein Dichter ist, darf der Zuschauer nicht raten, es wird ihm von Lothar Kompenhans oft genug gesagt. Auf charmant komödiantische Art, zweifellos. Selbst die Afrikaner, denen die Liebe der Autorin gehört, die auch durchaus differenziert geschildert werden, müssen zwischendurch Stereotypes über sich berichten wie in langatmig trockenen Rundfunkinterviews. Katharina Linder als Frau aus Ostdeutschland muß ebensolche Sätze sagen, sogar als "Geist" nach dem Tod.

Dennoch gelang es Bettina Fless - der Regisseurin - aus diesem nicht unbedingt fundierten Text ein Theatererlebnis zu machen. Die Zeit ist gut behandelt, am Schluß dehnt sich alles zwar ein bißchen, wird dann aber wieder zusammengefaßt. Die szenische Umsetzung beeindruckt bis auf die Stellen, wo Bettina Fless den Finger hebt und dem Zuschauer unbedingt ihre eigene Integrität beweisen will. Die .Rechtsaußen" Gerd und Fred (Thomas Wüpper, Thomas Wittmann) zum Beispiel, reißen im Bahnhof ausländerfeindliche Karnevals-Witze im Clowns-Kostüm. Das heißt, sie ironisieren bösartig die Realität. Die Regisseurin überspitzt nun die Darstellung noch einmal, damit niemand glaubt sie stünde hinter den Sprüchen.

Nun jedoch wird die Szene zu laut, verliert ihre politische Wirkung, der Zuschauer erhält das Recht, zu lachen, das Grauen geht unter. Einiges an Bild-Symbolik ist gerade noch zu ertragen Für Sozialarbeiterin und "Entscheider" wird bei der Befragung des Afrikaners im zweiten Akt ein Schlauchboot vom Bühnenhimmel gelassen. Mit zwei Mann ist das Boot voll logo. Juliane Koren zeigt dem Schwarzen, unnachahmlich komödiantisch gespielt, daß für Ihn kein Platz ist (leider mehrfach). Doch wenn am Ende auch noch die Luft der Hoffnung aus dem Boot gelassen wird, ist es fast ein bißchen Symbol zu viel.

Die meisten Bilder sind glücklicherweise gelungen, selbst wo sie sich vom Text entfernen. Das schauerlich-witzige Schau-Spiel in den beiden Bühnenbildern von Wolf Redl, die ein Kunstwerk für sich sind, ist kurz gesagt besser als das Hör-Spiel.


zurück