Westfälische Rundschau
18. Mai 1993
"Asyl": Wink mit
dem Zaunpfahl
Von Silke Schnettler
Von Zeit zu Zeit überkommt den
Ex-Soldaten Klaus (Manfred Böll), einen Obdachlosen am Bahnhof, grundlos die
Lust auf Gewalt. Er begrapscht die Pennerin Rosi (Juliane Koren) obszön und erwürgt
sie fast. Als sie wieder auf den Beinen steht, beginnt Rosi den Schwarzen
Ajagunla (Jubriel Sulaimon) zu beschimpfen. Der "Nigger" habe sie
bestohlen, wolle sie vergewaltigen; dabei baumelt der Gürtel von Klaus noch um
ihren Hals.
In Bettina Fless Tragikomödie
"Asyl - in der ersten Welt", die in den Bochumer Kammerspielen
Premiere hatte, verhalten sich fast alle Deutschen wie Rosi: Durchweg
gescheiterte Existenzen, lassen sie Ihren Lebensfrust an noch Schwächeren aus.
In diesem Falle ein Nigerianer Ajagunla, der auf politisches Asyl hofft. Teils
gelingen Bettina Fless, die ihr 1991 geschriebene Stück selbst inszeniert hat,
starke Bilder. Aber leider ist "Asyl" über weite Strecken hinweg zu
eindeutig und simpel.
Ajagunlas Geschichte: Der
nigerianische Ingenieur kommt an einem deutschen Bahnhof an und philosophiert über
Kolonialherrschaft, Weltbank und die Abhängigkeit der dritten von der ersten
Welt. Es Ist Rosenmontag, und die Deutschen wollen sich die gute Laune nicht
kaputtmachen lassen. Weder die Judenwitze reißenden Spaßvögel, unter deren
Clownsperücken die Skin-Glatze zum Vorschein kommt, noch das reiche Ehepaar das
in einem lächerlichen Zebrakostüm steckt. Auch die Obdachlosen behandeln den
Schwarzen wie Dreck. Der läßt sich alles mit einem arglosen Grinsen gefallen.
Die Obdachlosen haben in den
Schließfächern ihre "Etagenwohnungen". Wer neu auf die Bühne kommt,
schreitet origineller Einfall - über einen Teppich aus schwarz-rot-goldenem
Konfetti (Bühnenbild: Wolf Redl). Die überzeugende Darstellung besonders der
unappetitlichen Rosi und der reichen überdrehten Gattin Caroline (Eva-Maria
Hofman) bringen Leben in das Spiel. Nur bei Jubriel Sulaimon als Ajagunla hätte
man sich manchmal eine differenziertere Darstellung gewünscht.
Nach der. Pause, als Ajagunla
schon zwei Jahre in einem Dreckloch haust, wird die politische Aussage zum Wink
mit dem Zaunpfahl. Natürlich wird Ajagunlas Asylgesuch abgelehnt, natürlich
aus Gründen, daß sich dem Zuschauer die Nackenhaare sträuben. Die dralle
Sozialarbeiterin (Juliane Koren) und der Entscheider (Manfred Böll) hocken
symbolträchtig im schwankenden Schlauchboot, aus dem sie den Bittsteller mit
aller Gewalt fernhalten wollen. Doch auch das gibt dem Stück keine ästhetische
Überzeugungskraft.