Westfälischer Anzeiger
31. 1. 1995

Gerippe verdroschen
Bochum zeigt "Die Berühmten" von Thomas Bernhard
Von ACHIM LETTMANN


Bochum (eig. Ber.). Gekicher, lautes Gackern ' Prusten, Brülltöne und abwechselnd "Kopfüber, kopfüber" -  was für ein Spaß!? Der rotsamtige Vorhang legt in den Bochumer Kammerspielen eine illustre Gesellschaft frei. An langer Tafel sitzen "Die Berühmten". So werden sie sich nennen, und so nennt Thomas Bernhard seine gnadenlose Abrechnung (1976 uraufgeführt) mit dem Establishment der Salzburger Festspiele. Bernhards mehrteiliger Racheakt an der österreichischen Kulturboheme wird von Regisseurin Bettina Fless treff- und stilsicher sorgsam wie textgetreu, aber ohne große Überraschungen inszeniert.

Im Zentrum thront der massige Bassist. Rainer Hauer verkörpert den Gastgeber, der Tränen über seine Anekdoten vergießt und cholerisch anschwillt, wenn der Zeitgeist die Musik gefährdet. Dem Jammerlappen ist Vergangenes heilig. Sein Vorbild Richard Mayr (1877-1935) ist als kostümiertes Skelett platziert. Neun Gerippe flankieren die exzentrischen Nachkommen aus Fleisch und Blut. Der Tod ist nah, macht eine gute Figur. Als die knochige Elly Ney zum Flügel geleitet wird, schaudert zarter Grusel. Sie spielt Schubert. Ein schlichter wie betörender Trick, der uns für einen Moment mit den morbiden Illusionen der Berühmten" versöhnt - bis Gundi kommt.

Das vollmundige Gepraunze um gegipste  Beine, das affektierte Gefasel mit Toscanini und die Thesen von berühmten Krüppeln wie verkrüppelten Berühmten wird beendet. Endlich! Die Sopranistin (Martina Krauel) bricht mit gezückter Champagnerflasche in den Hort der Egomanen. Besoffen, lallend und zu altern bereit, kloppt sie Lotte Lehmann (1888-1976) den Schädel vom letzten Wirbel.

"Erschlagt Eure Vorbilder!" wird zur Losung. Im Dämmerschein fährt ein Kerzenständer nieder, schnellt das Messer hervor, knallt ein Schuß (für den Verleger Samuel Fischer). Die Sitzordnung ist aufgehoben, auch die Diener werden gemeuchelt.

Der furiose Höhepunkt vor der Pause dynamisiert Bernhards Minimaltheater um Leben, Tod und Musik. Das präzise Figurenspiel der Fless-Inszenierung belegt, wie wichtig für "Die Berühmten" Schauspieler sind, die das Text-Gefüge zur grotesken Partitur in Schwingung bringen. Neben Hauer gibt Georg-Martin Bode einen konservativen Kapellmeister ab, der säuselt, wenn mit klebrigem Lob die 200. "Ochs"-Partie des Bassisten (aus dem "Rosenkavalier) gefeiert wird. Manfred Böll als Verleger bläst jeden Gedanken intellektuell auf, bis sich die Selbstsucht im absurden Plauderton überschlägt. Satire läßt grüßen. Der Regisseur, Nicole Voigtländer, erinnert äußerlich mit Seidenschal und graugelichtetem Haar an Bernhard selbst. Ein einfacher Bühnenmann, der hier aus der zweiten Reihe kommentiert.

Nach der Tischrunde sortiert sich die Gesellschaft in meditativer Haltung im fürstlichen Sommersitz. Voigtländers Bühne, perspektivisch verengt, ist eine Kulissenwelt mit barockem Stuck. Dazwischen billige Porträts der Vorbilder. Der Blick schweift hinaus in die unsichtbare Bergwelt. Verkarstete Seelchen suchen Trost. Deutsche Gefühligkeit ("Ein Adler!").

Vom Leben deformiert sind die Sommergäste der Auswurf einer perfiden Bürgergesellschaft. Vom Abend ermattet, tanken sie Kraft, um den Wahnsinn bei Tisch neu zu profilieren. Die Pianistin (Anna Pocher) befühlt mit der Schauspielerin (Eva-Maria Hofmann) eine lesbische Anwandlung. Ulrich Wiggers als Tenor gehört auch zu den Spracharmen, die in der Bewegung existieren. Das Persönliche ist maskiert. Jeder leidet an jedem.

Thomas Bernhard läßt seine Figuren mit Tierköpfen sprechen. Bettina Fless spart sich den Mummenschanz bis zuletzt auf. Sie dosiert die wenigen Effekte Bernhardscher Schaukraft zu lang. Ochs, Fuchs. Hahn, Ziege ... agieren und tanzen im geselligen Schlußbild das vom lauten - Kikeriki übertönt wird.


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