NRZ
31. Januar 1995
Skelette beim Festmahl
Bernhard-Stück
Von NRZ-Redakteurin CAREN
SIEMUND
Zuweilen ist es notwendig,
Skelette zu erschlagen. Tote noch toter zu,' machen, längst verstorbene
Vorbilder endlich zu zertrümmern. Künstler brauchen das. Die sind halt so:
seelisch verkrüppelt oder körperlich oder beides - auf jeden Fall verkrüppelt.
Ohne Verkrüppelung kein Genie, ohne Genie keine Salzburger Festspiele. Ironisch
und ätzend frech nimmt Thomas Bernhard in seinem 1976 uraufgeführten Stück
‑.Die Berühmten" die Opern‑ und Geistesschickeria aufs Korn.
Herrlich gemein und voll boshaftem Witz ist auch Bettina Fless' "Berühmten"-Inszenierung,
die jetzt in den Bochumer Kammerspielen seine begeistert aufgenommene Premiere
hatte.
Obwohl Bernhards Stück äußerst
handlungsarm ist, die Akteure im wesentlichen nur beieinandersitzen, über Opern-Interna
reden und sich gegenseitig versichern, wie großartig sie sind, gleitet die
Inszenierung nie ins zähe Konversationsstück ab. Die Regisseurin - bekannt
geworden durch ihr Abtreibungsstück "Memmingen" - schafft es, Witz,
Satire und Sinnlichkeit der "Berühmten" herauszuarbeiten.
Wunderbar ist gleich die
Eingangsszene, in der die Künstlergruppe zusammen beim Fasanen-Festmahl sitzt,
um den "200. Ochs" des Bassisten im "Rosenkavalier" zu
feiern. Wein, fließt in Strömen, getratscht und gelacht wird reichlich. Etwa
darüber, daß ein Kollege kopfüber in den Orchestergraben gefallen ist und das
noch ausgerechnet beim "Falstaff" - ein Betriebsfest der
Kunst-Schickeria, ein Betriebsfest mit Ahnen. Denn neben den Regisseuren und
Pianistinnen, Verlegern und Sängern sitzen die großen Vorbilder Max Reinhardt,
Elly Ney, Samuel Fischer und andere - als Skelett. Eine Tafel mit Totentanz, wie
beim Jedermann" vor dem Dom.
Niko Voigtländers Bühnenbild
macht mit weißen Stuckdecken üppig dekoriertem
Doch genauso gelungen wie die
drastisch bösen Szenen sind die herrlich absurden Dialoge. Etwa wenn der
Bassist (glänzend gespielt von Rainer Hauer) von seinem Hobby dem
Gemsenbeobachten erzählt, oder der Verleger hohle Kommentare einstreut -,"Die
Zähler sind mathematische Vokale, die Zahlen sind Zähler", jedes Gespräch
der "Berühmten" ist sinnloses Gegacker, überhebliches Geschnatter.
Und deshalb wird das letzte Wort "Champagner!" auch von einem
Hahnenschrei übertönt. Vorn Kikeriki des eitlen Gockels.