Recklingshäuser Zeitung
2. Februar 1995

Die tote Pianistin Elly Ney sitzt am Flügel und spielt Schumann
Bühnenstück "Die Berühmten" von Thomas Bernhard erfolgreich in Bochum


In all seinen Stücken spülte der Österreicher Thomas Bernhard übellaunig die Welt in der Toilette herunter. Und seine Landsleute haßte er so sehr, daß er ihnen kurz vor seinem Tod verbot, seine schrillen Endspiele aufzuführen. Wien war für ihn sowieso eine der widerlichsten Städte, und seine Mitbürger waren für ihn nur geistige Regenwürmer".

Gewiß, vor Bernhards Amokläufen der Wut war nichts und niemand sicher. Seine Gegner, darunter der Kabarettist Werner Schneyder, bedauern die Duldsamkeit des masochistischen Publikums" und empfahlen, dem Dramatiker den Mund zu stopfen und seine Texte zu verbrennen. Andere schlugen vor, ihn wie "Gesindel über die Grenze abzuschieben" oder disqualifizierten ihn als Vielschwätzer, der nicht zu stoppen sei in seinen Ekel-Litaneien, in seinen Eniedrigungs‑Ritualen und großmäuligen Pauschal-Verdammungen. Alsdann: Ab mit ihm ins Irrenhaus!

  In seinem Stück Die Berühmten", das in Salzburg während der Festspielzeit spielt, überzieht Bernhard mit seinen Haßtiraden wieder jene Künstler, die er in anderen Stücken längst schon in der Luft zerrissen hat. Also: Der schmucke Ort an der Salzach beherberge nur Dummköpfe und Analphabeten. Die Schauspieler seien verludert, die Klassiker wie Goethe und Schiller, Heine und Shakespeare seien schiere "Geisteskrüppel" und die Opernhäuser seien zu einem gigantischen melodramatischen Fleischwolf" verkommen.

Auf der Bühne der Bochumer Kammerspiele sitzen neun Berühmtheiten an einer Festtafel bei Wein und Fasan (Bühnenbild: Nikol Voigtländer). Unter dröhnendem Gelächter feiert die Gesellschaft den "200. Ochs" des Bassisten in dessen barocken Sommersitz, der in einem Wust von Gips versinkt.

Alle lobpreisen ihre Vorbilder, die als Skelette neben ihnen hocken, und gackern zwischen ihren Quasselarien wie die Hühner auf dem Mist. Während die tote Pianistin Elly Ney auf dem Flügel Schumann spielt, platzt die Sopranistin Gundi in das Gelage und knallt ihrem Idol Lotte Lehmann eine Champagner-Flasche über den Totenkopf. Mit alkoholisiertem Lustgeschrei hebt ein allgemeines Gemetzel an: Der Tenor erwürgt Richard Tauber, der Regisseur ersticht Max Reinhardt, der Kapellmeister erschlägt Toscanini, die Pianistin zertrümmert den Kopf der Ney auf dem Flügel und der Verleger tötet den Großverleger Fischer mit einem Genickschuß. Die Bühne gleicht einem Schlachtfeld. Die Knochengerüste der Vorbilder sind reif für den Abfalleimer.

Am nächsten Morgen ist alles beim alten: Man schwafelt weiter über Gott und die Welt und stülpt nach außen, was innen modert: Leere und Stumpfsinn. Der Bassist, sich darüber mokierend, daß das "Volk ein einziger aufgeblähter Dummkopf" sei, führt das völlig berauschte Künstlervolk schließlich zum Tanz an. Alle tragen nun Tiermasken, und mittendrin krächzt das Kikeriki eines Hahnes.

  Bettina Fless inszenierte diese wüste Beschimpfungs-Litanei fast genüßlich und ließ die Bosheiten nie ins Leere laufen. Das amüsierte Publikum reagierte mit viel Gelächter und großem Beifall, und mancher schmunzelte noch auf dem Nachhauseweg. Freilich, auch das glänzende Ensemble, allen voran Martina Krauel als aufbegehrende Sopranistin und Rainer Hauer als dümmlicheitler Bassist, genoß diese Prügelorgie sichtlich.


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