Rheinische Post
1. Februar 1995

Bettina Fless inszenierte "Die Berühmten" von Thomas Bernhard in den Bochumer Kammerspielen
Mit kostümierten Skeletten an der Tafel
Von IRMGARD BERNRIEDER


Mit schallendem Gelächter empfing eine Tafelrunde auf der Bühne der Kammerspiele Bochum die Zuschauer. Der Dramaturgie von Auerbachs Keller nachempfunden, saßen sie da aufgereiht: "Die Berühmten". Sie hatten nach einem langen, nah an die Rampe herangerückten Tisch im angedeuteten Interieur eines Barock-Saales (Bühne: Nikol Voigtländer) Platz genommen. Und dann aßen und tranken und redeten sie sich nach Thomas Bernhards Willen auch 19 Jahre nach der skandalumwitterten Uraufführung am Wiener Burgtheater den Mund fusselig.

Was die junge Regisseurin Bettina Fless zur Inszenierung speziell dieses eher schwachen Bernhard-Stückes bewogen haben mag, blieb auch am Ende der zweieinhalb Stunden dauernden Aufführung unerfindlich. Denn den bekanntermaßen handlungsarmen Sprachkaskaden Bernhards hatte Bettina Fless kaum etwas hinzuzufügen.

Seite an Seite mit ihren Vorbildern, die in Bochum als kostümierte Skelette an der Tafel sitzen, klatschen da ihre neun namenlosen Epigonen über Gerüchte und Anekdoten aus dem Berufs- und Gesellschaftsleben. Wiederholungsselig lobt der einladende Bassist - von Rainer Hauer mit Bravour gespielt sich selbst und lästert über Künstler-Grünschnäbel.

Der Verleger (Manfred Böll) hat immer ein Zitat auf den Lippen und räsoniert über das Verhältnis von Kunst und Kommerz. Der Regisseur (Nikol Voigtländer) versteigt sich in eine Theorie von der Verkrüppelung als "Sauerteig" des Genies. Und der Kapellmeister (Georg-Martin Bode) ereifert sich über die jegliche Kreativität erstickende Künstlerehe. Im Gegensatz zu ihnen sind der Tenor (Ulrich Wiggers), der Schauspieler (Jürgen Sebert), die Schauspielerin (Eva Maria Hofmann) und die Pianistin (Anna Pocher) zum bloßen Herumsitzen und zu kurzen Zwischenbemerkungen verdammt. Die Wortergießungen plätschern dahin, bis am Ende des zweiten Vorspiels, vor der Pause, die langerwartete Sopranistin (Martina Krauel) völlig betrunken hereinstürzt und ihr Vorbild Lotte Lehmann so lange mit einer Sektflasche traktiert, bis es vom Stuhl kippt.

Sie muß die anderen Gäste nicht lange auffordern, ihrem Beispiel zu folgen: Alle meucheln ihre Vorbilder und bringen zuletzt auch noch die beiden Diener um. Weit geöffnet sind die Saaltüren nach der Pause. Die "Berühmten" fläzen sich an einem trägen Sommernachmittag im Salon zu Füßen ihrer Vorbilder, die nun in einer Porträtgalerie die Wände zieren. Gegen Ende der Festspielzeit schlagen die Künstler die Stunden bis zum nächsten Freiluftauftritt tot. Sie reden über das Wetter und die Natur, über Ärzte und Gagen, die Verbindungen von Kunst und Staat.

Ein Gewitter verhindert die abendliche Vorstellung, und so werden wir Zeugen eines allgemeinen Besäufnisses, das die betrunkenen Künstler zu immer abstruseren Reden und gegenseitigen Anfeindungen treibt. Der Bassist sieht seine illustren Gäste schließlich in Tiergestalt, als Hahn, Katze, Ziege. Und so tanzen sie dann alle zum kurzen Schlußwalzer der letzten Szene mit Tierköpfen.

Thomas Bernhard legt seinen "Berühmten" Banalitäten, Kalauer und pseudophilosophische Albernheiten in den Mund und zeichnet sie als geschwätzige Egozentriker. Aber seine Spitzen sind seltsam stumpf geworden.


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