Westfalenpost 
30. Januar 1995

Orgie im Anblick des Untergangs
Thomas Bernhards gallige Künstler-Satire "Die Berühmten" in Bochum
Von Stefan Keim


Bochum. Da sitzen sie, die Sänger und Schauspieler, Künstler und Kunstverwerter. Sie plappern, witzeln, nörgeln, stopfen sich Delikatessen in die Mägen und saufen bis zur Bewußtlosigkeit. "Die Berühmten" sind bei Thomas Bernhard ein Haufen Parasiten, die ihren eigenen Untergang kommen sehen. und erst mal eine Orgie feiern. Das gallige Porträt eines weltfernen Kunstbetriebs hatte in den Bochumer Kammerspielen Premiere.

"Die Schriftsteller, auch wenn sie Wissenschaftler sind, sind Übertreibungsspezialisten", sagt der Bassist, in dessen luxuriösem Sommersitz das Gelage stattfindet. Ein knappes und genaues Selbstporträt Thomas Bernhards. Die Gestalten des Österreichers, die Theatermacher" und Weltverbesserer", sind Wahnsinnige mit Visionen. Sie streben nach ästhetischer Perfektion und landen in der banalen Alltäglichkeit der Frittatensuppen. Es sind überlebensgroße Kunstmonster, schwankend zwischen Genialität und Lächerlichkeit. Tragik und Komik sind bei Bernhard ebenso unzertrennlich wie Haß und Liebe.

  Zu Claus Peymanns Zeiten wurden fast alle neuen Bernhard Stücke in Bochum uraufgeführt. Bernhard Minetti, Edith Heerdegen, Kirsten Dene und Traugott Buhre schufen Theaterlegenden. "Die Berühmten" ist nach neun Jahren die erste Bernhard-Aufführung der Steckel-Intendanz. In diesem Nebenwerk aus dem Jahre 1976 hat keiner der Charaktere die Abgründigkeit der kompromißlosen Eigenbrötler, die Bernhard sonst bedichtete. Obwohl das intensiv zusammenspielende Ensemble viele Feinheiten herausholt, stellt sich bei diesem Stück die typische Bernhard-Faszination nicht ein.

Regie führte Bettina Fless, die als Autorin aktueller Zeitstücke wie "Memmingen" und "Asyl - In der ersten Welt" bekannt wurde. Rainer Hauer spricht als Bassist einige Sätze direkt ins Publikum, die direkt auf die Schließung des Schiller-Theaters und andere Kulturkürzungen anzuspielen scheinen. Die Botschaft der Inszenierung ist klar: Die Künstler wehren sich zu wenig und sind dazu in ihrer moralischen Verkommenheit auch nicht mehr fähig. Die großen Vorbilder wie Reinhardt und Toscanini sitzen als Skelette mit am Tisch, im Mordrausch werden sie zerfetzt und sind doch in der nächsten Szene als Ölgemälde wieder da. In dieser dekadenten Kunstwelt die Nikol Voigtländers Bühnenbild hervorragend einfängt, ist alles nur Spiel. Ohne Wirkung unverbindlich, sinnlos.


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