Frankfurter Rundschau vom 2.
Februar 1995
von Ulrich Schreiber
Die Kunstkrüppel
Bettina Fless liefert in Bochum eine treffende Version von
Bernhards "Die Berühmten"
BOCHUM. Die Berühmten. in Thomas Bernhards gleichnamiger
Komödie sind führende Vertreter der Künste. Versammelt haben sie sich in dem
oberhalb Salzburgs gelegenen Barockschloß eines Bassisten und echten Barons. Er hat den
Ochs auf Lerchenau im Rosenkavalier um 200. Mal gesungen und
renommierte Freunde zu einem Bankett geladen. Doch den Berühmten ist ihr Ruhm
nicht genug, neben ihnen sitzen als Puppen ihre Vorbilder - Ulrike
Durnjahn hat daraus sinnvollerweise Skelette gemacht. Für den Baron ist das
Richard Mayr, für den Tenor Richard Tauber, für die Pianistin Elly Ney für die
Schauspielerin Helene Thimig für den Regisseur Max Reinhardt, für den
Schauspieler Alexander Moissi, für den Dirigenten Arturo Toscanini, für den
Verleger Samuel Fischer.
Doch die idyllische Rückversicherung der Größen von heute
bei denen der Vergangenheit täuscht. Am Ende der Feier erscheint die vom Baron
heißersehnte Sopranistin, seine Lebensabschnittsgefährtin. Sie ist nach einer
Vorstellung als Fioligi in Cosi fan tutte sturzbetrunken und macht, was ihr
alle nachmachen: Mit einer leeren Burgunderflasche schlägt sie ihr Vorbild
Lotte Lehmann in Stücke. Die anderen besorgen es ihren Idolen per Würgen,
Stechen oder - dem feinsinnigen Verleger verdanken wir diese Variante - durch einen gleich zweimal aufgesetzten
Genickschuß. Selbst die unschuldigen
Diener müssen als unliebsame Zeugen des Vorgangs dran glauben. Doch sie kehren
lebendig wieder, und die Ermordeten zieren fortan das Schloß als Bilderschmuck
der Wände.
Mit dem fulminanten Auftritt von Martina Krauel am Ende der
Bankettszene hat die Inszenierung, die die Schauspielerin, Autorin und
Regisseurin Bettina Fless in den Kammerspielen des Bochumer Schauspiels
verantwortet, eine Spannung gefunden, die über das Fallen des Vorhangs hinaus
den Abend über gehalten wird. Dass ist nicht selbstverständlich für dieses 1976
uraufgeführte Stück, das nicht die obsessive Wahnhaftigkeit der späteren Stücke
Thomas Bernhards enthält, wenngleich es dessen Haß auf Kunst, Politik und
Gesellschaft schon voll entwickelt zeigt. Er ist hier allerdings in Vermischung
von Realität und Fiktion so auf historische Figuren bezogen und beziehbar, daß
er kabarettistische Schlagseite erhält.
Die Hauptqualität der Bochumer Aufführung liegt darin, daß
Bettina Fless dieser Gefahr entgeht. Wenn Manfred Böll als ständig Novalis
zitierender Verleger einen Aufsatz Adornos über den Tenor Julius Patzak für die
Herbstmesse verspricht, macht die ins Absurde getriebene These von der
Beziehung zwischen Kunstvermögen und Verkrüppelung über die genannten Namen
hinaus Sinn. Nichts anderes geschieht mit den Bemerkungen Georg-Martin
Bodes als Dirigent oder Nikol Voigtländers, der auch das adäquate Bühnenbild
entworfen hat, als Regisseur.
Erst recht gilt das für die Suada des imponierenden Rainer
Hauer als gastgebenden Baron. Seine Tiraden gegen die Politiker als Totengräber
von Kunst und Gesellschaft wirken über den Affront hinaus ebenso als Analyse
eines beklagenswerten Zustands wie seine Verachtung einer Kunst, die sich nicht
mehr durch das Verfügen über Noten, sondern über Banknoten definiert.
Daß einem das Lachen über die bitteren Wahrheiten Thomas
Bernhards im Halse stecken bleibt, verdanken wir der von der Regie betonten
Logik des Ablaufs: die Angeklagenden sind wesentlicher Bestandteil der
beklagten Zustände. Das verdeutlicht nach der Abtönung der großen
Kunstvorbilder in einer sozusagen geschichtslos gewordenen Gegenwart ihre
zunehmende Enthemmung im Alkohol bis hin zur Vertierung, wenn uns die Berühmten
das Finale in animalischen Masken vortanzen.
Diesen Vorgang unterfüttert Bettina Fless geschickt, indem
sie den am Dialog kaum beteiligten Figuren menschliche Regungen verleiht, So
gibt es offenbar schon seit längerem zarte Bande zwischen dem Tenor (Ulrich
Wiggers) und der Sopranistin, ein Kabinettstück ist die lesbische Liebesszene
zwischen der Pianistin (Anna Pocher) und der Schauspielerin (Eva-Maria
Hofmann). Da wird in Thomas Bernhards durch Männergeschwätzigkeit gefüllter
Mitte zwischen Vernunft und Wahn so etwas wie eine weibliche Ästhetik des
erotischen Widerstands entwickelt.
So gewinnt die Aufführung eine Doppelbödigkeit, die
Bernhards Sottisen ästhetischen Mehrwert versichert. Zumal Carlos Farinia bis
auf die Rosenkavalier-Klänge die uns in die Pause entlassen, keine
illusionistische Musikverdoppelung über das Stück stülpt. Durch das Agnus Dei
aus Benjamin Brittens War Requien verknüpft er die Bitte um Erbarmen mit dem Erlebnis
eines erbarmungslosen Kriegs, akustisches Signal für den doppelten Boden von
Bernhards Witz. Daß die Vorhangregie vor einem begeisterten Publikum nicht
klappte, ist der einzige Fehler in dieser bisher stärksten Inszenierung der
Bettina Fless.
Die nächsten Aufführungen 2., 16, 21 und 26. Februar.