Ryher Kreiszeitung
16. 1. 1996

 

Provozierend harmlos

"Minna von Barnhelm" hatte im Bremer Schauspielhaus Premiere

Von Christoph Köster


 

 Bremen (eig. Ber.). Gerade in der jetzigen Spardebatte ist das Bremer Theater auf der schwierigen Suche nach seinem Publikum. Schwierig, weil das Publikum ein begehrter, aber kaum kalkulierbarer Faktor im Theatergeschäft ist. So setzte das Drei-Sparten-Haus in der Saison 1994/95, der ersten Saison unter dem Intendanten Klaus Pierwoß, mit Schauspielinszenierungen wie Jelineks "Krankheit oder Moderne Frauen" oder Galins "Sterne am Morgenhimmel" auf die experimentierfreudigen Zuschauer, die noch jene legendären Jahre des mit den damals blutigen Anfängern Zadek, Fassbinder, Stein oder Minks in Erinnerung hatten. Doch mangels Masse blieb der Erfolg aus. In dieser zweiten Saison der Ära Pierwoß schwenkte man deshalb uni, hob Hits wie Mozarts "Entführung aus dem Serail" oder Puccinis "Madame Butterfly" in (fett vorweihnachtlichen Opernspielplan und setzte auch im Schauspiel auf namentlich Vertrautes: Lessings Klassiker "Minna von Barnhelm" zum Beispiel, der jetzt unter der Regie von Bettina Fless im Bremer Schauspielhaus eine überaus freundlich aufgenommene Premiere erlebte.

 

In Lessings Denkmal gewordenem Fünfakter, der als erstes deutsches Lustspiel schlechthin gilt, werden wie aus dem Nichts die großen Theaterthemen Liebe, Geldwirtschaft und Krieg entfaltet. Der ehrenhafte Preußenmajor von Tellheim hat dem sächsischen Adel die Kriegsschulden aus eigener Tasche vorgestreckt und wartet, inzwischen verarmt, in einer Berliner Pension auf die Anerkennung seiner Leistung und die Rückzahlung des Geldes. Ankommt Minna von Barnhelm a der Suche nach ihrem Verlobten, ebendem Major Tellheim.

 

Doch das Wiedersehen verläuft zunächst nicht glücklich: Tellheim will Minna in seinem Elend nicht an sich binden. Zwischen den beiden Liebenden beginnt eine Komödie zwischen Flirt und Verhandlungstonfall, zwischen Leidenschaft und spätbarockem Intrigenspiel, die trotz ihrer historischen Datierung nach Ende des Siebenjährigen Krieges bis heute nichts von ihrer wortreichen und dialogwitzigen Sprachschönheit verloren hat.

 

Genau darauf vertraut die als Autorin von Politstücken wie "Memmingen" oder "Asyl" bekannt gewordene Regisseurin Bettina Fless in ihrer Bremer Inszenierung. Nur Nikol Voigtländers Bühnenbild aus Wänden in diagonal gestrichelten, blauern Kachelmuster, die sich mal zum schlauchähnlichen Zimmer auf der Vorderbühne und mal zur hallenden Halle verschieben lassen, erinnert an die Theatermoderne. Doch schon Ulrike Durnjahns Korsettagen für die Frauen entsagen sich dem und ihre historisierenden Uniformen für die Männer geben den bei Lessing auch verhandelten Militarismus eine vorindustrielle Unschuld zurück, die das Regietheater der letzten drei Jahrzehnte mit seinen Wehrmachts- oder Nazi-Zitaten plakativ nicht mehr gelten lassen wollte.

 

Bettina Fless Verzicht auf den großen Regieeinfall, ihr Bekenntnis zur  Lessingschen Vorlage ebnet Charakteren aus früheren Zeiten und Lustspieltypen den Weg. Dirk Plönissen als Major von Tellheim ist keineswegs der blöde Hammel der überkommene Traditionen hochhält. Obwohl er auch nach diesem, durchaus sorgfältig umgesetzten Regiekonzept enttäuschter, verzweifelter, gebrochener sein könnte, ist Plönissens Teilheim nur gelegentlich Karikatur und ansonsten grundehrlich motiviert.

 

Irene Kleinschmidts Minna erscheint schlagfertig, verspielt, unbekümmert, weil wolhbehütet, und so modern wie schon Lessing sie konzipiert hat. Ein rechtes Vergnügen indes bereiten die Nebenfiguren, für die Bettina Fless lauter hübsche Details eingefallen sind. Sebastian Dominik als äußerlich grober, aber herzensguter Diener Just. Peter Pagel als durchtriebener Wirt, Matthias Kleinen als verletzlich-tapsiger Wachtmeister Werner.

 

Toll erneut die wunderbare Gabriela Maria Schmeide die als temperamentvolle Franziska jeden wütenden Augenaufschlag und jeden nebenbei gesprochenen Satz mit einer schalkhaften Komik und hinreißenden Natürlichkeit versieht.

 

Fazit: Diese Bremer "Minna von Barnhelm" befreit den Lessing vorn Staub des Regietheaters, ist auf so provozierende Weise harmlos, daß sie sich zu einem Publikumsmagneten entwickeln dürfte. Und hohe Zuschauerzahlen kann das durch neue Sparvorschläge am Nerv getroffene Bremer Theater besser gebrauchen denn je.


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