Ryher Kreiszeitung
16. 1. 1996
Provozierend harmlos
"Minna von Barnhelm" hatte im Bremer
Schauspielhaus Premiere
Von Christoph Köster
In Lessings Denkmal gewordenem Fünfakter, der als erstes
deutsches Lustspiel schlechthin gilt, werden wie aus dem Nichts die großen
Theaterthemen Liebe, Geldwirtschaft und Krieg entfaltet. Der ehrenhafte
Preußenmajor von Tellheim hat dem sächsischen Adel die Kriegsschulden aus
eigener Tasche vorgestreckt und wartet, inzwischen verarmt, in einer Berliner
Pension auf die Anerkennung seiner Leistung und die Rückzahlung des Geldes.
Ankommt Minna von Barnhelm a der Suche nach ihrem Verlobten, ebendem Major Tellheim.
Doch das Wiedersehen verläuft zunächst nicht glücklich:
Tellheim will Minna in seinem Elend nicht an sich binden. Zwischen den beiden
Liebenden beginnt eine Komödie zwischen Flirt und Verhandlungstonfall, zwischen
Leidenschaft und spätbarockem Intrigenspiel, die trotz ihrer historischen
Datierung nach Ende des Siebenjährigen Krieges bis heute nichts von ihrer
wortreichen und dialogwitzigen Sprachschönheit verloren hat.
Genau darauf vertraut die als Autorin von Politstücken wie
"Memmingen" oder "Asyl" bekannt gewordene Regisseurin
Bettina Fless in ihrer Bremer Inszenierung. Nur Nikol Voigtländers Bühnenbild
aus Wänden in diagonal gestrichelten, blauern Kachelmuster, die sich mal zum
schlauchähnlichen Zimmer auf der Vorderbühne und mal zur hallenden Halle
verschieben lassen, erinnert an die Theatermoderne. Doch schon Ulrike Durnjahns
Korsettagen für die Frauen entsagen sich dem und ihre historisierenden
Uniformen für die Männer geben den bei Lessing auch verhandelten Militarismus
eine vorindustrielle Unschuld zurück, die das Regietheater der letzten drei
Jahrzehnte mit seinen Wehrmachts- oder Nazi-Zitaten plakativ nicht
mehr gelten lassen wollte.
Bettina Fless Verzicht auf den großen Regieeinfall, ihr
Bekenntnis zur Lessingschen Vorlage
ebnet Charakteren aus früheren Zeiten und Lustspieltypen den Weg. Dirk
Plönissen als Major von Tellheim ist keineswegs der blöde Hammel der
überkommene Traditionen hochhält. Obwohl er auch nach diesem, durchaus
sorgfältig umgesetzten Regiekonzept enttäuschter, verzweifelter, gebrochener
sein könnte, ist Plönissens Teilheim nur gelegentlich Karikatur und ansonsten
grundehrlich motiviert.
Irene Kleinschmidts Minna erscheint schlagfertig, verspielt,
unbekümmert, weil wolhbehütet, und so modern wie schon Lessing sie konzipiert
hat. Ein rechtes Vergnügen indes bereiten die Nebenfiguren, für die Bettina
Fless lauter hübsche Details eingefallen sind. Sebastian Dominik als äußerlich
grober, aber herzensguter Diener Just. Peter Pagel als durchtriebener Wirt,
Matthias Kleinen als verletzlich-tapsiger Wachtmeister Werner.
Toll erneut die wunderbare Gabriela Maria Schmeide die als
temperamentvolle Franziska jeden wütenden Augenaufschlag und jeden nebenbei
gesprochenen Satz mit einer schalkhaften Komik und hinreißenden Natürlichkeit
versieht.
Fazit: Diese Bremer "Minna von Barnhelm" befreit
den Lessing vorn Staub des Regietheaters, ist auf so provozierende Weise
harmlos, daß sie sich zu einem Publikumsmagneten entwickeln dürfte. Und hohe
Zuschauerzahlen kann das durch neue Sparvorschläge am Nerv getroffene Bremer
Theater besser gebrauchen denn je.