Süddeutsche Zeitung
7. März 1996
Ingeniöses Trotzdem
Eine fesselnde "Minna von BarnheIm" in Bremen
Von Werner Burkhard
In dar Tat: Die: neue Kultursenatorin Kahrs (SPD) hat ihm
und seinem Haus recht übel mitgespielt, hat einen ohnehin knappen Etat von
etwas über 40 Millionen Mark noch weiter gekürzt und so den Nerv einer
Institution getroffen, die zwar gewohnt ist unter der Sparknute tapfer und
verblüffend beschwingt weiterzumachen, nun aber weiß "Die Einsparung von
jährlich zusätzlichen 3,5 Millionen Mark bedeutet die Schließung einer der
beiden großen Sparten Musiktheater oder Schauspiel".
Inzwischen hat man wohl auch in den politischen Kreisen der
Hansestadt eingesehen, daß es dem Ruf schadet wenn Bremen von jetzt an
ausschließlich die Heimat des Roland der Stadtmusikanten und von Werder wird.
Man hat die Kürzungen relativiert will aber die fest zugesicherten
Etatausgleichungen von drei Prozent im Jahr nicht vornehmen. Und eben das
verärgert Pierwoß seit 1994 im Amt, ganz außerordentlich. "Das Prinzip
Pacta sunt servanda gilt offensichtlich
Wir sind die zehngrößte Stadt im Land und stehen in der der
Subventionstabelle an 40. Stelle."
Mit Bekümmernis hört man das und weiß die
gesamte Theaterwelt
die sich im Dezember mit einer eindringlichen Demonstration mit den Kollegen
solidarisch erklärte auf seiner Seite. Das bleibt nicht der einzige Trost. Mit
einer unverwechselbaren Mischung aus Sturheit und ingeniösem Trotzdem haben die
Bremer Theaterleute seit eh und je die drohende Schließung abwenden können im goldenen Zadek-Hübner-Zeitalter, in Kraemers glücklichen Tagen,
Die Zeichen stehen gar nicht so schlecht. Zu einer ganz
normalen "Minna von Barnhelm" - Vorstellung sind erfreulich viele
Besucher gekommen und sie sind ganz bei der Sache wenn die vielseitige Bettina
Fless Regie führt. Der Abend lebt zunächst vom Gegensatz zwischen den
historischen Kostümen (Ulrike Dumjahn) und der rein funktionalen wie
leergeräumten Bühne (Nikol Voigtländer) die nur zögerlich zur Nähe einlädt, vor
allem Entfernungen zwischen den Figuren sichtbar macht.
Irene Kleinschmidt durchaus im Einklang mit dem
verschattetem Ambiente in ihren tatkräftigen Optimismus viele dunkle Töne wie
denn auch Dirk Plönissen als Tellheim einen so tief Gestürzten zeichnet, dass ihm, dem Offizier,
Klassenunterschiede gleichgültig geworden sind, daß er sich mit Just und Werner
allzu kumpelhaft gemeinmacht, dann aber gefangen nimmt durch eine Bockigkeit
der Seele die sich dem Todestrieb nähert. Hübsches bei den Randfiguren vor
allem bei Peter Pagel, der dem Wirt alle Buffo-Flausen austreibt und mit
der finsteren Eleganz eines Geheimdienstspitzels sehr gefährlich ist.
Denn doch erleichtert verläßt man das Haus und erwischt
sich bei dem ketzerischen Gedanken: Wo ganz Bremen politisch auf dem Vulkan
tanzt, sollte wer das Theater retten will, auf alle Verhärtungen und
Rechthaberei pfeifen. Und Senatorin Kahrs sollte das Auge fest auf ihren
Vornamen richten. Der lautet Burg-Friede.