Süddeutsche Zeitung
Samstag/Sonntag, 2./3. Mai 1992
ANSCHLAG
Schauspiele sind Spiegel
Von Bettina Fless
Die Frage, warum es wichtig sei, solche Theaterstücke zu
schreiben wie "Memmingen" und
"Asyl" apportiert bereits die Antwort, die nur lauten kann.
Warum sollte es nicht wichtig sein? Auch wenn Stücke zeitgenössischer Autoren
dem Kleist‑Vergleich nicht standhalten, bedürfen sie und Ihre
Aufführungen "keiner Rechtfertigung, keiner Verteidigung ihrer Haut. Diese
Rechtfertigung ist vielmehr von denen zu fordern, denen die Verbreitung und
Realisation eines Theatertextes obliegt, und die dieses nicht selten mit der
gleichen Emphase betreiben, mit der man Quittungen für die Steuer
zusammensucht.
"Memmingen" und "Asyl" sind Eingriffe In
einen vorschnellen und gekonnt manipulierten Prozeß der Bewertung gegenwärtiger
Ereignisse. Sie konfrontieren mit der Unfähigkeit, sich den anderen
vorzustellen, mit der Blindheit der Ignoranz und denn Leugnen des anderen. Für
die meisten von uns gilt, daß jede Konfrontation nur zu einer Rückstrahlung auf
uns selbst führt. Das andere wird auf dasselbe zurückgeführt. Schauspiele oder
Gerichte, in denen sich das andere zeigen könnte, werden zu Spiegeln. Diese
Spiegel funktionieren aber bereits nicht mehr, wenn plötzlich statt weißer Haut
schwarze vorkommt, der eine Whisky trinkt und keinen Tee etcetera,
Die Wirklichkeit eines politischen Zeitstückes auf dem
Theater liegt unter anderem darin, daß es durchaus in der Lage ist, ein Publikum
anzusprechen, das sich vom "Türsteher", dem Zeitgeist, des
Kulturetablissements auch ohne geistigen Mitgliedsausweis oder
Aufenthaltserlaubnis der Kritiker nicht vom Besuch seines Stückes abhalten läßt
ein Publikum, für das ich schreibe, das durch die Codierungen unserer
Theateraufführungen ausgegrenzt wird. Meiner
Die Autorin ist die Verfasserin der Stücke .Memmingen und
Asyl, die beide derzeit in München am Staatsschauspiel zu sehen sind.